Screening und erhöhtes Diabetesrisiko
Für die Themen Screening und erhöhtes Diabetesrisiko wurde je ein neues Kapitel geschaffen. Dazu wurden epidemiologische Daten, Auswertungen des Disease-Management-Programms und indirekte Evidenz zum Nutzen der nicht-medikamentösen und medikamentösen Therapie herangezogen. Die Leitliniengruppe kam nach Analyse dieser Daten zu der Überzeugung, dass einem Teil der Betroffenen die Erkrankung nicht bewusst ist und dass die Übersterblichkeit von Personen mit unerkanntem Typ-2-Diabetes relevant erhöht ist. Möglichen Schäden, die durch das Screening von Risikopersonen entstehen könnten, bspw. eine psychische Belastung, kann laut Leitliniengruppe mithilfe von „realistischer Risikokommunikation und „wertschätzender Gesprächsführung“ entgegengenwirkt werden. Aufgrund des oftmals jahrelang symptomlosen Verlaufs und der Gefahr durch Folgeerkrankungen spricht die Leitliniengruppe eine starke Empfehlung für das Screening-Angebot für Risikogruppen aus:
- Empfehlung 3-1: Bei Menschen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Diabetes soll die Untersuchung auf das Vorliegen eines Diabetes angeboten werden
Zur Abschätzung des Diabetesrisikos stehen der Deutsche Diabetes-Risiko-Score (DRS) und der Risiko- oder GesundheitsCheck FINDRISK zur Verfügung. Zusätzlich geben die entsprechenden Laborwerte der jeweiligen Person Auskunft über das Risiko, in naher Zukunft Diabetes zu entwickeln. Nachfolgende Tabelle aus der NVL zeigt die Übersicht zu Laborwerten, die ein erhöhtes Diabetesrisiko anzeigen können:
Abnorme Nüchternplasmaglukose (IFG) | 100 bis 125 mg/dl bzw. 5,6 bis 6,9 mmol/l* |
HbA1c-Wert | 5,7 bis < 6,5% bzw. 39 bis < 48 mmol/mol** |
Gestörte Glukosetoleranz (IGT)(im oralen Glukose-Toleranz-Test) | NPG: < 126 mg/dl bzw. < 7,0 mmol/l2-h Plasmaglukose: 140 bis 199 mg/dl bzw. 7,8 bis 11,0 mmol/l* |
*Grenzwerte laut WHO: 110 bis 125 mg/dl (6,1 bis 6,9 mmol/l), die DEGAM, AkdÄ, DGfW und DGP unterstützen die WHO-Grenzwerte für NPG. Für die DEGAM, AkdÄ, DGfW und DGP hat der oGTT und damit die gestörte Glukosetoleranz keinen Stellenwert im hausärztlichen Bereich.
** Besonderheiten/Einflussfaktoren (u. a. Alter) IFG: Impaired fasting glucose; IGT: Impaired glucose tolerance; NPG: Nüchternplasmaglukose
Liegen die Laborwerte im Bereich des erhöhten Diabetesrisikos, sollen den Personen lebensstilmodifizierende Maßnahmen empfohlen werden, um die Manifestation des Diabetes zu verhindern und somit das Risiko für Folgeerkrankungen zu minimieren (Empfehlung 3-2).
Diagnostik
Auch für das Thema Diagnostik wurde ein neues Kapitel erstellt. Die Leitliniengruppe weicht mit ihrer Empfehlung vom bisherigen Diagnose-Algorithmus ab, indem sie mindestens zwei Laborwerte (Nüchternplasmaglukose (NPG), HbA1c, ggf. Gelegenheitsplasmaglukose (GPG)) für die Diagnostik heranzieht. Dadurch soll das Risiko für Über- und Unterdiagnostik verringert werden, da die Kombination der beiden Messwerte die Limitationen des jeweils anderen ausgleichen kann. Die Ergebnisse sollen außerdem in einer zweiten Messung überprüft werden: „Die Diagnose wird als bestätigt angesehen, wenn zwei Ergebnisse der Laborwerte im pathologischen Bereich liegen“. Die Empfehlungen zur Diagnostik lauten wie folgt:
Empfehlung 4-1: Die Diagnose Typ-2-Diabetes soll in Zusammenschau der Anamnese, der klinischen Befunde und auf Basis von bestätigten Laborwerten erfolgen.
Empfehlung 4-2: Bei der Eingangsuntersuchung zur Diagnose des Typ-2-Diabetes sollen die in Tabelle 9 aufgeführte Anamnese und Untersuchungen durchgeführt werden, wenn angemessen (zur Definition von „angemessen“ siehe Rationale im selben Kapitel).
In Tabelle 9 der NVL sind Anamense, Familienanamese und körperliche Untersuchung beschrieben:
Anamnese |
Gewichtsentwicklung (Zunahme/ungewollte Abnahme), hoher Blutdruck, Fettstoffwechselstörungen, Durst, häufiges Wasserlassen, Ernährung, Infektneigung (insbesondere Entzündungen der Haut), Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Schwäche, körperliche Aktivität/Inaktivität, Medikamenteneinnahme (z. B. Glucocorticoide), Rauchen, depressive Symptome, kognitive Einschränkungen, Merk- und Konzentrationsfähigkeit, Sehstörungen, erektile Dysfunktion, Geburt von Kindern > 4 000 g, Gestationsdiabetes in der Vorgeschichte |
Familienanamnese |
Diabetes, Übergewicht/ Adipositas, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Herzinfarkt, Schlaganfall, frühe Sterblichkeit, Amputation |
Körperliche Untersuchung |
Größe, Gewicht (BMI), ggf. Taillen-/Hüftumfang, kardiovaskuläres System, Blutdruck, periphere Arterien, peripheres Nervensystem, Haut, Augenuntersuchung, Fußuntersuchung (inklusive Fußpulse), ggf. Palpation des Abdomens (Leber vergrößert und/oder konsistenzvermehrt?), Hinweise auf sekundäre Formen der Glukosetoleranzstörung (z.B. bei Glucocorticoid-Therapie oder bei einigen endokrinologischen Erkrankungen, Hämochromatose), Vorliegen geriatrischer Syndrome bei Menschen höheren Alters |
Laboruntersuchungen |
- Parameter zur Diagnose der Glukosestoffwechselstörung
- eGFR-Bestimmung
- Lipidstatus
- Untersuchung auf Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio ggf. vorangestellter U-Status
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Zusätzlich sollen folgende Laborparameter analysiert werden: Parameter zur Diagnose der Glukosestoffwechselstörung, eGFR, Lipidstatus und Untersuchung auf Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio, ggf. vorangestellter U-Status (Position DEGAM/AkdÄ: Individuell zu prüfende UACR-Bestimmung für bestimmte Risikogruppen) (siehe Abweichende Einschätzungen der Fachgesellschaften zu U-Status und UACR-Bestimmung).
Empfehlung 4-3: Zur Diagnose eines Typ-2-Diabetes sollen venöses Plasma und standardisierte und qualitätsgesicherte Labormethoden angewandt werden.
Empfehlung 4-4: Bei der Interpretation der Testergebnisse sollen die Einschränkungen des jeweiligen Testverfahrens und die jeweilige „Minimale Differenz“ berücksichtigt werden.
Die Leitliniengruppe sieht einen großen Nutzen der Laboranalytik für eine korrekte Diagnosestellung und somit auch zur Reduktion von Unter- und Überversorgung und spricht daher starke Empfehlungen aus. Die Diagnose gilt als bestätigt, wenn zwei Ergebnisse der Laborwerte (NPG + HbA1c, NPG + GPG, 2x NPG, HbA1c + GPG) im pathologischen Bereich liegen. Da Laborwerte jeweils nur den aktuellen Zustand abbilden, sollen insbesondere bei Werten im Grenzbereich bzw. im erhöhten Risikobereich weitere Laborparameter untersucht werden, um die Entwicklung eines Diabetes frühzeitig erkennen zu können (Empfehlung 4-7). Aus den Empfehlungen der Leitliniengruppe ergibt sich folgender Diagnose-Algorithmus:
1 siehe Abweichende Einschätzungen der Fachgesellschaften (DEGAM/AkdÄ: wie diabetische Retinopathie, Nephropathie, Polyneuropathie; DDG/DGIM: Makro- und/oder Mikroangiopathie).
2 ergibt sich der Verdacht auf Diabetes allein aus einem erhöhten Diabetesrisiko gemäß Kapitel 3.1 Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko, sprechen sich DDG/DGIM für eine Diagnostik gemäß Algorithmus aus. Aus Sicht der DEGAM/AkdÄ muss in diesen Fällen kein weiterer Wert bestimmt werden, wenn die NPG im Normbereich liegt (siehe Abweichende Einschätzun-gen der Fachgesellschaften zur empfohlenen Diagnostik bei Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko, Kapitel 3.1 Menschen mit erhöhtem Diabetesrisiko).
3 HbA1c-Werte sind nur dann aussagekräftig, wenn mit hinreichender Sicherheit keine Störfaktoren oder Einflussgrößen vorliegen. Die GPG ist nur zur Bestätigung der Diabetesdiagnose verwendbar, wenn das Ergebnis im sicher pathologischen Bereich liegt (siehe Kapitel 4.1.2.2 Diagnosekriterien).
4 Siehe auch Bewertung des oGTT durch die Fachgesellschaften.
Die Limbach Gruppe bietet eine umfassende Labordiagnostik zum Thema Typ-2-Diabetes an und unterstützt Sie gerne bei der Umsetzung der Empfehlungen der aktuellen NVL in Ihrer Praxis. Sprechen Sie uns gerne an!
Fazit
Die neue Version der NVL Typ-2-Diabetes ist am 15.05.2023 erschienen. Sie stellt, wie alle NVLs, eine systematisch entwickelte Entscheidungshilfe über die Vorgehensweise der Ärztin oder des Arztes im Rahmen der strukturierten medizinischen Versorgung dar. In der aktuellen Version wurden die Kapitel Screening und erhöhtes Diabetesrisiko sowie Diagnostik neu geschaffen. Eine Untersuchung auf Typ-2-Diabetes soll im Rahmen des Screenings Menschen mit erhöhtem Risiko angeboten werden. Durch die Empfehlungen der Leitliniengruppe ergibt sich ein neuer Diagnose-Algorithmus: Die Diagnose gilt als bestätigt, wenn zwei Ergebnisse der Laborwerte (NPG + HbA1c, NPG + GPG, 2x NPG, HbA1c + GPG) im pathologischen Bereich liegen.
Referenzen:
- Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF). Nationale VersorgungsLeitlinie Typ-2-Diabetes – Langfassung. Version 3.0.2023; zuletzt abgerufen am 30.05.2023 DOI: 10.6101/AZQ/000503